Eröffnung mit Performances von Hubert Gromny, Krõõt Juurak, Simone Karl und Olof Olsson.
Begleitet von einem Ausstellungsheft mit einem Text von Aneta Rostkowska.
Die Temporary Gallery, das Zentrum für zeitgenössische Kunst in Köln lädt Sie zu der Besichtigung einer Ausstellung ein, die sich dem Werk der Performancegruppe katze und krieg widmet. Die Arbeit des Duos, das seit 15 Jahren unzählige Performances lokal wie international gezeigt hat, wird hier in Form einer kleinen Retrospektive meist anhand von Videodokumentationen reflektiert. Die Präsentation soll Gelegenheit bieten, das nahezu gesamte Schaffen von katze und krieg zusammenzufassen und zu reflektieren. Die Künstlerinnen ziehen uns mit ihren Performances konsequent in ihren Bann und laden dazu ein, unsere Städte in einem anderen Licht zu sehen.
katze und krieg arbeiten mit Interventionen im Alltag des öffentlichen Raums, z. B. in Supermärkten, Bürogebäuden, Wohngebieten und Fußgängerzonen. Konsequent und mutig
hinterfragen sie in ihrer Arbeit die Funktionen dieser Gemeinschaftsräume und ermutigen die Passant*innen, ihr gewohntes Verständnis davon ebenfalls infrage zu stellen. Sie erinnern uns daran, dass der öffentliche Raum allen gehört und jede*r – nicht nur die Privilegierten – das Recht hat, ihn zu gestalten. Ihre künstlerische Praxis könnte als Versuch angesehen werden, öffentliche Räume (als Räume des Commoning, gemeinsames Tun) zu demokratisieren, ein Gefühl der Gestaltungsfreiheit bei ihren Benutzer*innen hervorzurufen und sie einzuladen, die Räume auf subversive Weise zu nutzen. Dadurch werden die – manchmal absurden – durch Staat und Gesellschaft auferlegten Regeln in Frage gestellt. Die Performances des Duos beinhalten eine Rebellion und fesselnde Intensität: Je mehr Regeln aufgezwungen werden, desto intensiver fühlt es sich an, sie zu brechen oder sie zu unterlaufen. Angeregt wird hier auch eine Reflexion über den Charakter des öffentlichen Raums: Wie öffentlich ist er wirklich? Welche Regeln sind sinnvoll und welche nicht? Wer entscheidet über die Regeln? Wie ist eine bestimmte Regel entstanden?
Den Privatparkplatz von jemandem nicht zu Fuß, sondern mit einer improvisierten Kutsche zu besuchen („playing around“)? Warum nicht? Warum gibt es in den Zentren unserer Städte so viele private Räume und warum ist in manchen Ländern die Trennung zwischen privat und öffentlich so stark?
McDonald’s als eigene Kantine nutzen und dort das mitgebrachte Essen verzehren („auf dem geparden“)? Warum nicht? Wo soll man sitzen, wenn es nicht genug Bänke und Tische in der Innenstadt gibt? Wurden sie entfernt, weil Bars und Cafés keine Konkurrenz haben wollen? Oder vielleicht weil Obdachlose darauf saßen? Falls die zweite Antwort korrekt ist – hat das die Probleme der Obdachlosen gelöst? Nein. Sie sind nur weniger sichtbar. Und die anderen haben keinen Platz zum Sitzen. Etc., etc.
Einen Geldautomaten lecken und dabei gierig atmen („release your inner animality“)? Warum nicht? Es gibt doch Geldautomaten überall und sie stehen zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung.
Sportübungen im Supermarkt (auf dem geparden”)? Warum nicht? Die Gesellschaft verlangt von uns, die ganze Zeit effizient zu sein.
Drei Menschen, die sich lange in der Haupteinkaufsstraße umarmen („Money.Experience.Satisfaction.Now.“)? Warum nicht? Die Innenstadt sollte doch ein Ort der Begegnung sein, anstatt ausschließlich zum Einkaufen.
Einen Bollywood-Tanz mitten auf einer stark befahrenen Kreuzung tanzen („wenn die Sonne untergeht“)? Warum nicht? Warum ist in der Stadt so viel Platz zum Autofahren und nicht für andere Bedürfnisse und Ideen?
Durch eine Vielzahl von manchmal urkomischen, aber auch bewegenden menschlichen Interaktionen hinterfragen die Künstlerinnen die Entfremdung des Individuums im
öffentlichen Raum und zeigen, dass er immer noch bedeutungsvolle und überraschende Begegnungen ermöglichen kann. Schließlich ist es der öffentliche Raum, in dem sich alle unterschiedlichen Gruppen unserer Gesellschaft treffen und interagieren. Die kapitalistischen Mechanismen der Segregation oder Exklusion (Gated Communities etc.) führen zu einer gewissen Homogenisierung öffentlicher Räume (ein Raum wird von einer bestimmten sozialen Gruppe bewohnt). Aber sie sind nicht vollständig erfolgreich: Im öffentlichen Raum können wir immer noch Menschen außerhalb unserer sozialen Gruppe treffen, Menschen, denen wir niemals bei der Arbeit oder in der Freizeit begegnen würden. Hier können wir uns noch austauschen, herausfordern und lernen zusammenzuleben – trotz der Unterschiede in Bezug auf Identität oder Klasse. Im Laufe ihrer 15-jährigen Arbeit wurden katze und krieg zu Meisterinnen der (mal mehr, mal weniger) zwanglosen Konversation und überzeugten ihre zufällige Zuschauer*innenschaft. Ob es darum ging, ihnen beim Klettern auf einen Baum zu helfen oder mit der Rezeptionistin eines Hotels Topfschlagen zu spielen (beide in „playing around“), ob beim Versteckspiel mit einem Büroangestellten („in der Firma“) oder dem Beitritt der Zuschauer*innen zu einer mysteriösen Gemeinschaft, deren Ziel es ist, die Bedürfnisse von katze und krieg zu erfüllen („Harem“): In diesen ungewöhnlichen Verhaltensweisen und Begegnungen offenbart sich ein poetisches Potenzial mit Momenten von unerwarteter Schönheit (Marsch durch die Stadt in zufällig auf der Straße gefundenen roten Mänteln in „playing around“), wilder Freiheit (Küssen eines Fremden mit vorausgehender melancholischer Musik in „bevor we sterben“) oder Szenen wie aus einem Film (Blickspiel mit entferntem Betrachter in „Harem“). Die Künstlerinnen sind wie Zauberinnen: Ein Raum, der früher uninteressant oder sogar langweilig erschien, bietet jetzt eine aufregende Inspiration für unterschiedlichste Abenteuer.
Das Publikum ist eingeladen, die beiden auf ihrem Weg zu begleiten und manchmal auch mitzumachen. Durch das ehrliche Setup (der Rahmen der Performance ist sichtbar, Mikrophone oder Kameras werden nicht versteckt) fühlt sich die Teilnahme an wie ein mehr oder weniger sicheres Spiel, alles ist erlaubt – was erforderlich ist, ist nur eine gewisse Offenheit für Neues, Humor und Freude an absurden Interaktionen. Bei der Dokumentation der künstlerischen Arbeit des Duos stoßen wir auf typische Probleme der Dokumentation von Performance-Kunst: Die Anwesenheit der Kamera kann den Ablauf der Performance verändern, sodass bewusst nicht alle Performances dokumentiert werden. Infolgedessen gibt es viele Momente, die überhaupt nicht dokumentiert sind. Was bleibt, sind Erinnerungen des Publikums samt Emotionen und Gedanken, die sie begleiten. Für diese Ausstellung haben wir Erinnerungen an frühere Aufführungen von katze und krieg gesammelt und beschlossen, einige davon im Ausstellungsraum zu präsentieren. Wir haben viele E-Mails mit Anekdoten, Fotos und persönlichen Reflexionen erhalten. Was uns diese Art des Dokumentierens gezeigt hat, ist, dass hier – im Gegensatz zu Fotos und Videos – die Dokumentation durch den individuellen Charakter einer Person bestimmt wird. Die Erinnerungen werden von konkreten Beobachtungen und Emotionen durchdrungen. Fotos und Videos haben natürlich auch diese subjektive Ebene, aber in den schriftlichen Erinnerungen, die wir erhalten haben, ist diese Ebene präsenter. In gewisser Weise haben wir gelernt, dass wir gerne mehr Performance-Dokumentationen dieser Art erleben würden: um zu erfahren, wie ein Kunstwerk in den persönlichen Raum des Betrachters oder der Betrachterin eindringt, wie es sich zwischen Subjekt und Objekt konstituiert. Während der Theaternacht am 24. September werden zu jeder vollen Stunde Führungen in der Temporary Gallery angeboten: um 20:00 Uhr, 21:00 Uhr, 22:00 Uhr, 23:00 Uhr und um Mitternacht.
Kuratiert von Aneta Rostkowska.
Biographien
katze und krieg sind die beiden Performance-Künstlerinnen – katharinajej und Julia Dick. Sie leben und arbeiten in Köln. Kennengelernt haben sie sich 2007 während ihres Studiums an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. katze und krieg intervenierten im deutschsprachigen und internationalen Raum im Rahmen von: Global Young Faculty von Mercator Foundation, Essen (2021), Rheydter Resonanzen, Montag Stiftung, Rheydt (2020), Köttinspektionen art space, Uppsala (2020), asphalt Festival, Düsseldorf (2019) Impulse Academy, Mülheim an der Ruhr (2019), Impulse City Project, Köln (2018), Architecture of Consumerism, Berlin (2017), sommerblut Festival, Köln (2015), Fremdgehen Drama, Köln (2014), Lothringer13 Florida, München (2014), Spajalica, Kroatien (2014), Inverscity, Oberhausen (2013), Trial and Error, Tübingen (2013), Performa, Südschweiz (2012), BMUKK, Wien (2012), HMK, Niederlande (2012), Hart am Wind, Göttingen (2012), Transeuropa, Hildesheim (2012) , Theaterszene Europa, Köln (2011), Stromereien, Zürich (2011), Jacuzzi Festival, Wien WUK (2011), Streetcat in Bat Yam, Israel (2011), Explosive, Bremen (2011), casa do rio, Brazil (2011), Theaterformen, Braunschweig (2010), Internationaler Performance Art ZooM, Hildesheim (2008), Stadtmachtkunst, Hannover (2008). Für ihre Arbeit wurden sie mehrfach ausgezeichnet, z. B. mit dem Kölner Theaterpreis der Sparkassenstiftung, dem 1. Preis des Berliner Kurzfilmfestivals Nostalgie und dem Publikumspreis des Arena Festivals, Erlangen.
Website: www.katzeundkrieg.de
Bilder
1: katze und krieg
2—5: katze und krieg: Die Wiederverzauberung des öffentlichen Raumes, 2022 (Installationsansichten)
Fotos: Simon Vogel, Köln