BLUE BINDING RIBBON
Common Threads Press, Maris Curran, Nina Danino, Brigitte Dunkel, Fashion House Limanka, Maria Renée Morales Garcia, Nora Hansen, Laura Huertas Millán, Stephan Idé, Olena Newkryta, Marzena Nowak, Nie Pastille, ReSew Nähkooperative, Sarah Ferreira dos Santos, Working Textiles (Alissa Ritter, Karla Kleinschmidt, Marie Schubert, Sofia Magdits Espinoza), und weitere
13 April — 2 Juni 2024
Eröffnung: Freitag, 12. April, 19 Uhr

 

Kuratiert von Lisa Klosterkötter und Aneta Rostkowska

Ausstellungsdesign von Jakob Engel

Blue binding ribbon beinhaltet eine prozesshafte Ausstellung und eine Reihe von Workshop-Formaten, Führungen und Diskussionen. Das Projekt befasst sich mit kollektiven Aspekten der textilen Handarbeit in der bildenden Kunst. Inspiriert wird es vor allem von aktuellen und historischen queer-femistischen Arbeitsgruppen, Kollektiven, Selbsthilfegruppen, Ateliergemeinschaften, Schulen, Plattformen und digitalen Netzwerken, die sich auf die gemeinsame Produktion von künstlerischen Arbeiten und Handarbeiten konzentrieren.

Ausgangspunkt für die Ausstellung ist unter anderem die Schule des Kreativen Feminismus, die 1979 von der Künstlerin Ulrike Rosenbach in Köln gegründet wurde. Ein leerstehendes Ladenlokal in der Venloer Straße 21 wurde von der Initiative als Raum für Austausch, Workshops und gemeinsames Arbeiten genutzt. Das Cover des 1980 von Rosenbach herausgegebenen Zines “Beispiele einer autonomen Kulturtarbeit”, das eine Art Rückblick, Text- und Dokumentationssammlung der Schule des Kreativen Feminismus beinhaltet, zeigt 11 Händepaare deren Finger mit Wollgarn verschiedenster Dicken und Farbigkeit umwickelt sind. Die Hände liegen mit den Fingern zueinander gerichtet in einem Kreis und bilden eine Art leibhaftigen Webrahmen, der neu bespannt wurde und durch einen ersten blauen Faden in der Mitte, einen Anfang für ein Gewebe und für die Verbindung zwischen allen Besitzer*innen der Hände bildet. Dieses Motiv schließt insofern an den Titel der Ausstellung Blue binding ribbon an, als dass in beiden Fällen mit Metaphern aus dem Handarbeits-Kosmos gearbeitet wird, um Gemeinschaft, Zusammenhalt und Kollektivität zu vergegenwärtigen. Das Einfassen, Einbinden, Zusammenführen, Verbinden durch ein Band (ein Nahtband das rohe, unfertige Teile eines Stoffes bindet, umrandet, versäumt und verstärkt) spielt auf die kollektiven Aspekte der handwerklichen Herstellung an.

Im Laufe der Ausstellung werden zwei Kollektive den Raum bespielen und Projekte entwickeln. Eines davon, Working Textiles, wurde im Oktober 2022 von fünf Studierenden der Kunstakademie Düsseldorf gegründet: Marie Schubert, Alissa Ritter, Sofia Magdits Espinoza, Karla Kleinschmidt und Helene Kuschnarew. Working Textiles ist eine offene Textilwerkstatt und eine Austauschplattform, die einen nicht-hierarchischen Treffpunkt schafft, der den Transfer von textilen Fähigkeiten und Wissen innerhalb und außerhalb der Akademie ermöglicht. Um das Fehlen einer Textilwerkstatt an der Kunsthochschule zu kompensieren, organisierte Working Textiles ein Jahr lang Treffen und Workshops, die im Flur vor dem Raum 121 in der Kunstakademie Düsseldorf stattfanden. Mit Unterstützung der Fördermittel anlässlich des 250-jährigen Jubiläums der Kunstakademie zogen sie dann in einen eigenen Raum, der von September bis November 2023 in eine Textilwerkstatt und einen Ort für gemeinschaftliches Arbeiten umgewandelt wurde, ausgestattet mit verschiedenen Maschinen und Materialien. Von dort aus organisierte Working Textiles Workshops, Künstler*innengespräche und verschiedene Veranstaltungen wie einen Pop-up-Store, ein Runway-Screening, einen Secondhand-Laden und ein Abendessen und regte so den Diskurs über Textilien und ihre verschiedenen Verbindungen und Konnotationen an. Durch die enge Zusammenarbeit und die regelmäßigen Treffen entsteht ein Netzwerk, das in Zeiten der globalen Krise Unterstützung bietet und einen Raum eröffnet, um Isolation und Entfremdung entgegenzuwirken.

Das zweite Kollektiv, das im Raum arbeitet, ist ein temporäres Kollektiv – ein Experiment, das speziell für die Zeit der Ausstellung geschaffen wurde. Brigitte Dunkel, Maria Renée Morales Garcia, Nora Hansen, Stephan Idé, Lisa Klosterkötter, Nie Pastille, Aneta Rostkowska und Sarah Ferreira dos Santos werden sich regelmäßig in der Temporary Gallery treffen und gemeinsame Aktivitäten durchführen, die in einer Abschlussveranstaltung am 1. Juni münden (Save the date!). Es werden bestehende textile Arbeiten der Künstler*innen ausgestellt, die Stickerei, Weberei, Textilfärbung, Textilmalerei, Patchwork, Textile Collage und Kostüm umfassen. Sie bilden den Ausgangspunkt für eine neue Zusammenarbeit im Rahmen des temporären Kollektivs, das sich im Dialog mit den jeweiligen Kontexten dieser Einzelwerke entwickelt. Darüber hinaus werden die am Projekt beteiligten Künstler*innen während der Ausstellungszeit verschiedene Workshops anbieten und ihre Fähigkeiten mit der Gemeinschaft der Temporary Gallery teilen. Das Ziel ist es, einen offenen Raum für kreative Entwicklungsprozesse und thematischen Diskurs zu bieten und Techniken und Materialien auszutauschen.

Ein weiteres kollektives Projekt, das im Ausstellungsraum präsentiert wird, ist ein Ergebnis des Bildungsprogramms für junge Menschen der Temporary Gallery, das von Ana Manhey Ahrens und Paloma Nana koordiniert wird. Seit Oktober 2023 kooperiert Temporary Gallery mit der Katharina-Henoth-Gesamtschule in Köln-Vingst. In enger Zusammenarbeit mit der Kunstlehrerin Tinani van Niekerk und der Künstlerin Joséphine Sagna wurde eine Unterrichtsreihe zu den Themen Mode, Identität und Repräsentation durchgeführt. Die Schüler*innen entwarfen ihre eigene Kleidung für eine fiktive Figur, was zu einer kraftvollen, bezaubernden und lebendigen Kollektion von Kleidungsstücken führte.

Blue binding ribbon zielt darauf ab, den gemeinschaftlichen Aspekt des Handwerks in Verbindung mit seinen politischen und therapeutischen Funktionen hervorzuheben und zu stärken. Textilarbeit kann eine Brücke zwischen Menschen aus verschiedenen Generationen, Kulturkreisen und Klassen schlagen. In dem Zeitalter der sozialen Medien, in dem wir immer weiter voneinander entfernt sind, ist das Handwerk ein Schutz gegen die Isolation und ein Weg, um in Verbindung zu bleiben. Es stärkt nicht nur unser Selbstbewusstsein, sondern auch unser Zugehörigkeitsgefühl. Textile Handarbeit verbindet Zukunft und Vergangenheit: Etwas für sich selbst zu nähen bedeutet, an sein zukünftiges Ich zu glauben, Hoffnungen zu haben. Es bietet eine Möglichkeit, Perfektionismus abzulehnen – das Unvollkommene und Menschliche anzunehmen (was man selbst herstellt, wird schließlich nie perfekt sein) und neue Ästhetiken zu erkunden. Die Welt der Handarbeit ist umfassender als die Welt der Kunst, sie scheint mehr zuzulassen und zu akzeptieren. Im Mittelpunkt stehen die Freude am Schaffen und die Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Handarbeit hat auch eine besondere Heilkraft: Es gibt viele Studien, die den Zusammenhang zwischen Kreativität und Wohlbefinden untersuchen. Das faszinierende Eintauchen in das Handwerk führt zu einer Entlastung von innerem Aufruhr. Das Erfolgserlebnis kann die psychische Gesundheit und unser Immunsystem stärken, da der Druck des Multitaskings durch die Konzentration auf eine Sache ersetzt wird. Kunsthandwerk wird sogar zunehmend als wirksames Mittel zur Bekämpfung von Depressionen anerkannt. Während der Pandemie haben viele Menschen damit begonnen, Dinge herzustellen. Jetzt ist es an der Zeit, aus der Isolation herauszutreten und das, was man zu Hause gelernt hat, mit anderen zu teilen. Vor dem Hintergrund, dass die jüngere Generation durch die Digitalisierung zunehmend die taktile Nähe zu Materialien wie Papier, Farbe, Ton, Stoffen, Holz usw. verliert, bietet das Handwerk ein Potenzial, um der jungen Generation zu helfen, die Domäne des Taktilen zurückzugewinnen und ihre kreativen Fähigkeiten zu entwickeln.

In ihrem Buch "Post-Growth Living. For an Alternative Hedonism" (Verso 2020) hebt Kate Soper das politische Potenzial des Handwerks im Zusammenhang mit neuen Formen des Vergnügens und des Hedonismus hervor, die in Zeiten der Klimakrise entstehen. Sie schreibt, dass „(...) handwerkliche Arbeitsweisen, aufgrund ihrer Betonung von Geschicklichkeit, Liebe zum Detail sowie persönlichem Engagement und Kontrolle, im Widerspruch zu den vorherrschenden Ansichten über die geistig-manuelle Arbeitsteilung stehen, mit ihren Geboten, sich an das Work-and-Spend-Wirtschaft zu halten. In einer langsameren Gesellschaft, in der die Menschen mehr Zeit haben, um sich selbst zu sorgen, könnte die handwerkliche Produktion expandieren und viel mehr Menschen könnten von den Fähigkeiten, der geistigen Konzentration und der Zufriedenheit profitieren, die sie bieten kann. (...) handwerkliche Arbeitsweisen könnten als Bestandteil einer avantgardistischen, post konsumistischen politischen Vorstellungswelt zurückgewonnen werden, anstatt – wegen ihrer Verbindung zu vormodernen sozialen Beziehungen und Beschränkungen des Vergnügens – abgetan zu werden. (...) Das handwerkliche Ethos hat eine offensichtliche Affinität zu neu entstehenden anti-konsumistischen Trends und Netzwerken: mit dem neuen Interesse am „Slow Living“, das in den USA und Europa registriert wird, und der Bildung von Kampagnennetzwerken, die diejenigen verbinden, die sich für ein „Downshifting“ und einen nachhaltigeren Lebensstil entschieden. (...) Handwerkliche Methoden und „langsames Arbeiten“ sind hervorragend mit kommunalen Unternehmen und Genossenschaften vereinbar und tatsächlich mit jeder Arbeitsorganisation, die von der Anforderung befreit ist, in kürzester Zeit so viel wie möglich zu produzieren. „Craftivismus“, wie der politische Flügel der Handwerksbewegung genannt wird, verbindet Handwerk nun aktiv mit der Flucht aus den vorherrschenden Codes des Massenkonsums.“

Ein einzigartiger Ausstellungsdesign von Jakob Engel ist eine Mischung aus einem Ausstellungs-Teil, einem Environment für Kunstwerke, und einem offenen Ateliers-Teil, einer Konstellation von Alltagsgegenständen und Möbeln, die bei Veranstaltungen und Workshops aktiv genutzt werden. Die Idee ist, einen offenen Raum zu schaffen, der allen Interessierten die Möglichkeit bietet, vor Ort mit Materialien zu arbeiten, verschiedene Handarbeitstechniken wie Nähen, Sticken, Häkeln, Stopfen und Flicken auszuprobieren oder während der Öffnungszeiten der Galerie und bei speziellen Veranstaltungen die eigenen Fähigkeiten mit anderen zu teilen und für sich selbst zu vertiefen. Eines der Gestaltungselemente ist ein modernistisches Raster, das in der Ausstellung mit verschiedenen Kunstwerken, Textilien und Flachbildschirmen "durchbrochen" wird. Auf diese Weise wird das Erbe der Moderne, der Industrialisierung und der entfremdeten Arbeit (auch in der Nähindustrie) auf der Ebene der Raumgestaltung hinterfragt. Große Arbeitstische und Materialregale befinden sich zentral im Ausstellungsraum und können von Besuchern und Arbeitsgruppen betreten und genutzt werden. Die Lichtsituation ist so gestaltet, dass die ausgestellten Arbeiten ihren Raum erhalten und gleichzeitig eine anregende Arbeitsatmosphäre geschaffen werden kann. Die Möbel sind zum Teil aus Restmaterialien vergangener Projekte gefertigt, zum Teil wurden sie für die langfristige Nutzung in der Galerie neu gebaut und können auch nach der Ausstellung vielfältig eingesetzt oder weiterverarbeitet werden. Eine Mini-Kantine mit der mobilen Küche der Temporary Gallery wurde für "die Arbeiter" eingerichtet, um deren Austausch und Arbeitsprozesse zu unterstützen.

Mit ihrer Betonung des kollektiven Aspekts des Handwerks nimmt die Ausstellung auch Bezug auf die Geschichte des Raums der Temporary Gallery, der als ehemaliges Ersatzteillager für in der Kölner Innenstadt tätige Fabriken mit dem Industrialisierungsprozess in der Region verbunden ist. Dieses Mal wurde jedoch versucht, zu einer nicht entfremdeten und verkörperten Form der kollektiven Arbeit zurückzukehren. Das blaue Bindeband wird auf diese Weise zum Symbol für eine mögliche Emanzipation des "Blue Collar" Arbeiters, der dieses Mal den blauen Bildschirm, der andere Arbeitsbedingungen ermöglicht, betritt – ganz im Sinne des imaginativen Endes des in der Ausstellung gezeigten Films von Olena Newkryta: „Während du deine Augen geschlossen hältst, stell dir eine dysfunktionale Gemeinschaft vor. Eine erschöpfte Gemeinschaft. Und eine Gemeinschaft der Erschöpften. Eine Gemeinschaft jedoch, die noch handeln kann. Nicht, weil sie dazu berechtigt wird. Sondern weil wir, als eine Gemeinschaft der Genesenen, in einem stillen Moment des vollen Bewusstseins erkennen, dass wir einander nicht gleichgültig sind.”

Bild: Marzena Nowak, Untitled (UE), 2004

Förderung und Unterstützung:
Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen
Kulturamt der Stadt Köln
Deltax contemporary
Hotel Chelsea

Das Jugendprojekt wurde großzügig von der RheinEnergie-Stiftung und der Commerzbank-Stiftung unterstützt.